4 Fragen an…Jule Schaffer

Sie haben einige Jahre bei der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln gearbeitet und sind nun in Halle: Wie würden Sie ganz grob die Unterschiede zwischen beiden Sammlungen und den jeweiligen Aktivitäten beschreiben?

Ausgehend von den foto- und kulturhistorisch überaus bedeutenden Archiven von August Sander und Bernd und Hilla Becher verfolgt die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur konsequent einen konzeptuell-dokumentarischen Ansatz. Viele der Positionen gehören eher zu den Klassikern der Fotogeschichte, der Fokus auf die sogenannte Becher-Schule etwa ist eminent, aber auch in unbekannteren Positionen wird das vergleichende Sehen in seiner ganzen Breite und Tiefe vorgestellt wird. Das wird auch jetzt an der Jubiläumsausstellung sehr schön sichtbar. Mit einem kleinen Team wird ein sehr gut recherchiertes und fundiertes Ausstellungsprogramm gemacht. Teil davon zu sein war toll, sehr lehrreich und inspirierend. Der Standort im Kölner Media-Park ist sicherlich nicht so prominent, wie es den Beständen eigentlich angemessen wäre, aber man kann nur allen empfehlen, ihren Weg dorthin zu finden.

Die Fotografische Sammlung in Halle ist zwar auch Teil einer Stiftung – der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt – aber zunächst einmal vor allem Teil eines Museums, das sehr verschiedene Sammlungen beherbergt, darunter auch Numismatik und Kunsthandwerk. Der Blick weitet sich also sowohl in der Arbeit mit den Sammlungsbeständen, als auch im Kollegenteam. Inhaltlich sind die Schwerpunkte ganz anders, was ich sehr spannend finde und mich als Herausforderung sofort angesprochen hat. Mit Hans Finslers Nachlass haben wir auch einen Klassiker der Fotogeschichte der 1920er und 1930er Jahre, den es allerdings noch deutlich umfangreicher aufzuarbeiten gilt. Highlight der Sammlung ist ihr einzigartiger Bestand an Fotografie aus Ostdeutschland und Osteuropa, davon ist vieles im öffentlichen Bewusstsein immer noch zu wenig präsent. Mit dem umfassenden Bilderarchiv des Fotokinoverlags, der Fotografischen Sammlung der Gesellschaft für Fotografie im Kulturbund der DDR, mit einem Schwerpunkt der Fotografie der 1980er Jahre, und den eigenen Sammlungsbeständen gibt es hier wirkliche Schätze zu heben. Zudem haben wir von Floris Neusüss die Sammlung experimentelle Fotografie des legendären Fotoforum Kassel als Schenkung ins Haus bekommen. Da sind ganz tolle konzeptuelle Sachen dabei. Die Sammlung ist also unwahrscheinlich vielfältig in Materialbeschaffenheit, inhaltlicher und zeitlicher Ausrichtung. Jetzt muss nur noch Corona eine stabilere Ausstellungsplanung erlauben, dann wird auch hoffentlich bald wieder einiges davon zu sehen sein.

Neben dem Kunstmuseum Moritzburg ist Halle ja auch bekannt für die Kunsthochschule Burg Giebichenstein: Gibt es aktuell eine Verbindung, also einen Austausch zwischen beiden Institutionen? Was wäre Ihre ideale Vision für eine solche Verbindung zwischen musealer und fotografischer Praxis?

Das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und die “Burg” kooperieren immer wieder, beispielsweise 2019 zur Ausstellung “Bauhaus Meister Moderne”, für die Studierende des Multimedia/VR Design einen Architekturentwurf von Walter Gropius virtuell umgesetzt haben. Die Verbindung ist gerade für die Fotografie sehr bedeutsam: Hans Finsler hat 1927 an der “Burg” die erste Fotoklasse für Sachfotografie gegründet und sein Nachlass legte 1987 den Grundstein für die Fotografische Sammlung im Museum.

Stephanie Kiwitt leitet seit zwei Jahren den Schwerpunkt Fotografie/Kommunikationsdesign an der Burg. Uns beiden ist der Kontakt zwischen den Institutionen ein großes Anliegen. Im letzten Semester haben wir beispielsweise mit den Studierenden Projekte aus der umfangreichen Bilddokumentation “Fotografie und Gedächtnis” gesichtet. Mitte der 1990er Jahre wurden verschiedene Orte in Sachsen-Anhalt fotografiert, um ihren Zustand kurz nach der Wende festzuhalten, als Art visueller Erinnerungsspeicher. Der Austausch war für beide Seiten sehr produktiv. Die Ergebnisse fließen ein in eine Publikation der Studierenden, die sich mit dem jetzt bevorstehenden Strukturwandel der Region durch den Braunkohleausstieg auseinandersetzt. Für das Sommersemester planen wir erneut eine Kooperation, unter den Stichworten “Adaption/Reaktion”. Idealerweise ergibt sich so ein Mehrwert für alle Beteiligten, werden Fotografien aus dem Depot aktiviert und Studierende zur Auseinandersetzung mit Originalabzügen auch außerhalb des Ausstellungsraums animiert – also ein dialogisches in die Welt Hinaustragen von Bildern und ihren Ideen.

Das Thema “fotografische Nachlässe und Archive” ist in jüngster Zeit eines der vielleicht heißesten Probleme im Foto-Sektor: Wie relevant ist es für Sie und inwiefern?

In der Tat sehr heiß und hoffentlich nicht tot diskutiert. Als museale Sammlung sind wir kein Archiv – und beherbergen doch teils sehr umfangreiche Nachlässe und Bildkonvolute. Institutionsübergreifend erlebe ich den Umgang mit den vielen technischen und konservatorischen Fragestellungen, die damit einhergehen, als individuelles Navigieren durch minenreiches Terrain, verbunden mit guten Ideen und viel Engagement bei sehr knappen personellen Ressourcen. Und interessanterweise oft mit ähnlichen Ergebnissen. Sicher ist das für kleinere Institutionen, derer es ja viele gibt, personell noch schwerer zu stemmen. Zumal fotografische Bilder ja aufgrund ihres fluiden Charakters in den verschiedensten Institutionsformen und Sammlungsarten auftauchen können. Letzthin habe ich beipielsweise sehr spannende fotografische Bestände im Leopoldina Archiv sichten können. Je nach Institution erfolgt ein anderer Zugriff, für die einen ist das Negativ relevanter, für die anderen der Abzug, oder gar nur die Bildinformation an sich. Eine wichtige Aufgabe eines Bundesinstituts für fotografische Bilder wäre es, hier anzusetzen und eine Art Netzwerkknotenpunkt zu bilden, in die Zukunft gerichtet zu forschen, Standards für Prozesse und Abläufe zu erarbeiten und die Ergebnisse niedrigschwellig bereitzustellen. Ich denke, auch eine private Erbengeneration könnte manches sichern, wenn man sie entsprechend schult. Auch die Verwahrung tatsächlicher Nachlässe ist natürlich relevant. Als Museum bekommen wir immer wieder Angebote, die wir genau prüfen, jedoch aufgrund der Aufgabenstellung einer musealen Sammlung nur sehr bedingt bis gar nicht integrieren können.

Noch etwas beinahe Persönliches: Gibt es eine Art fotografische Lieblingsposition, auf die Sie immer wieder gern bei Ausstellungen zurückkommen? 

Ich lasse mich gern durch neue Entdeckungen inspirieren. Aber natürlich verlieren bestimmte Arbeiten nie ihren Reiz – immer wieder faszinierend finde ich beispielsweise die Arbeiten der Botanikerin Anna Atkins, die mit ihren Cyanotypien von Algen bereits 1843 fulminante Bildwerke erschaffen hat, und mehr noch, im Grunde das erste Fotobuch verantwortete. Ich warte noch darauf, irgendwann selbst eine Ausstellung mit ihren Bildern machen zu können. Ansonsten finde ich den Themenkomplex des gefundenen fotografischen Materials, das wiederverwendet wird, sehr spannend, da auf diese Weise verschiedenste Praktiken, Funktionsweisen und Akteure des fotografischen Felds miteingebunden werden – manchmal auch nur als Idee – und so Alltagsgebrauch und Kunst eine produktive Liaison eingehen.

Mit bestem Dank an

Jule Schaffer

…ist Kustodin der Sammlung Fotografie am Kunstmuseum Moritzburg, Halle

 

BU: privat

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