Es ist bereits eine Tradition den „Dialog“ zwischen zwei künstlerischen Bildformen zu beschwören, deren Kunstgeschichte sich deutlich voneinander zu unterscheiden scheint: die Malerei und die Fotografie. Das letztgenannte Medium, das stets als „technisch“ bezeichnet wird – als wenn die Malerei jeglicher technischer Mittel entbehren würde -, ist bekanntlich erst 1839 patentiert worden und erst im Zuge der so genannten „Moderne“ im frühen 20. Jahrhundert in den künstlerischen Diskurs aufgenommen worden.
Ob nun die Geschichte der Fotografie als eine eigene, von der Malerei unabhängige Geschichte gelesen wird, obwohl ja doch die Beziehungen zur älteren, vermeintlich nur „manuellen“ Bildform stets betont werden, oder ob sie in Abhängigkeit von dieser als eine verspätete Kunst deren Geschichte nur repetiert, hängt sicher vom Standpunkt der jeweils Betrachtenden ab. Die Perspektive wird dadurch erschwert, dass die Fotografie ihren möglichen künstlerischen Wert zwischenzeitlich einbüßte und nach ihrem ersten modernen Auftritt bekanntlich erst in den siebziger Jahren eine Renaissance in der Kunst und ihren Institutionen erlebte. Dass dies auch seinen institutionellen Widerhall in Deutschland erfuhr, führt übrigens die ausführliche Zeitleiste in dem soeben von Anja Schürmann und Katharina Yacavone herausgegebenen fundamentalen Band „Die Fotografie und ihre Institutionen“ (Berlin: Reimer 2024) in beeindruckender Klarheit vor Augen. Die Geschichte der künstlerischen Fotografie ist also von einer radikalen Diskontinuität charakterisiert, wie sie in der vermeintlich nur wechselnden, aber durchaus als kontinuierlich konzipierten Malerei-Geschichte nicht zu beobachten ist. Also: sind beide Geschichten doch nicht wirklich miteinander zu vergleichen und laufen gänzlich getrennt voneinander ab?
Eine kleine Provokation zur Behauptung des Gegenteils sei an dieser Stelle gewagt: Die gerade unter dem Eindruck der Digitalisierung seit den neunziger Jahren einsetzende Autonomisierung des fotografischen Bildes, das sich als solches von seiner rein abbildenden, allein dokumentarischen Funktion löst, erinnert an genau das, was sich im Kontext der Malerei achtzig Jahre früher ereignete. Dafür steht auch eine aktuelle Wiederentdeckung tendenziell selbstreferenzieller Ansätze, die ihrerseits eine lange Geschichte innerhalb der Fotografie besitzen, welche gerade in den vergangenen Jahren auch in der kunstwissenschaftlichen Forschung verstärkt betont wurde. Bestes Beispiel dafür ist die mittlerweile eingängige Studie von Kathrin Schönegg „Fotografiegeschichte der Abstraktion“ (2019).
Die im Kontext des Ausstellungswesens zu beobachtende Renaissance von Ansätzen aus den sechziger Jahren, wie z.B. der generativen Fotografie, spricht ebenfalls dafür. Die Narrative, die in diesen Zusammenhängen im Hinblick auf Legitimation oder Kritik wiederholt bemüht werden, erinnern stark an die Debatten um die so genannte „moderne“, ungegenständliche Malerei des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Wiederholt also die Fotografie nur mit historischer Verspätung deren Diskurs? Verkörpert also die Fotografiegeschichte nur einen müden Abklatsch des Bekannten oder wie schreiben wir deren Geschichte in (Un-)Abhängigkeit von einem anderen künstlerischen Bildmedium?
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover