Welche Zukunft hat die Fotografie?

In Anbetracht der aktuellen Flut an Kongressen und Tagungen, die sich dem Thema der Identität und Zukunft der Fotografie im dritten Millennium widmen, erscheint es immer dringlicher den einschneidenden Wandel zu reflektieren, welcher die Kommunikationsinstrumente und -formen der Fotografie bereits verändert hat und auch nach wie vor modifiziert.

Die visuelle Kultur der Gegenwart ist von extrem heterogenen, fragmentierten und kurzlebigen Formen durchzogen. Dabei gewinnen neue Referenzen eine zunehmende Bedeutung, um die Vielzahl der künstlerisch-fotografischen Praktiken zu thematisieren, die sowohl institutionelle Zusammenhänge wie Museen, Galerien und Biennalen, aber auch virtuelle Räume wie das Web füllen.

Auch die Rolle des Fotografen hat sich in den letzten Jahrzehnten derart gewandelt, dass sie im Begriff ist, zu etwas vollkommen anderem zu werden, wobei der Begriff „Fotograf“ selbst problematisch und sogar überholt erscheint. Heute ist der Fotograf eine hybride Gestalt, die häufig nicht mehr nur ein Fotograf im klassischen Sinne ist. Vielmehr ist hier ein „Bildoperateur“ am Werk, der sich zwischen Fotografie (in digitaler Form), Grafik, Video und anderen bildgebenden Techniken bewegt. Wer ist also heute alles ein Fotograf? Macht es überhaupt Sinn, darüber mit solchen Begriffen zu sprechen? Es setzt sich ein Hybridisierungs-Prozess durch, der auf mehreren Niveaus wirkt. Vor allem vermischt sich die Figur des Fotografen immer mehr mit derjenigen eines Experten für etwas anderes.

Gleiches gilt für die sich vermischenden Funktionen der Fotografie: Familien-, Wissenschafts-, Industrie- und Werbefotografie fließen nahezu unterschiedslos im Kunst-Diskurs zusammen und verlieren ihre ursprüngliche Funktion. Und zuletzt wird auch das fotografische Gerät hybridisiert: Mit dem neuen Millennium hat sich nicht nur die Möglichkeit zu fotografieren exponentiell erweitert, sondern ist zum Teil ausgewandert auf andere Geräte wie das Smartphone, den Computer oder das Tablet, die faktisch ein Hybrid aus Kamera und etwas anderem sind, das ursprünglich nicht für diese Funktion konzipiert war. Auch vor diesem Hintergrund hat sich die Rolle des Fotografen verändert, insofern durch die Adaption neuer Medien verstärkt auch bereits vorhandene Bilder ausgewählt und sodann mit Hilfe digitaler Technik bearbeitet werden. Der Gestus der Appropriation hat sich von der künstlerischen Geste in den Alltag erweitert.

Diese veränderten Formen der Fotografie haben, wie ich finde, in Joan Fontcubertas Rede von der „post-photographic condition“ einen angemessenen Begriff gefunden, da er durch Konzepte wie Konnektivität und Kommunikation, Momentaneität und Vergänglichkeit, Verunreinigung und Umlauf der Bilder gekennzeichnet wird. Der Autor verbirgt sich häufig oder verschwindet, um alternativen Modellen der Autorschaft Platz zu schaffen: z.B. in Ko-Autorenschaft, kooperativ geschaffenen Werken, Interaktivität oder Strategien der Anonymität.

In einem solch komplexen Kontext, der sich radikal gewandelt hat und sich in ständiger Metamorphose befindet, stellt sich eine Vielzahl von Fragen – auf die man bislang noch keine eindeutigen Antworten geben kann. Ich werfe nur einige dieser Fragen auf: Wie hat sich unsere Beziehung zu Fotografien verändert? Während die Nutzung derselben früher von der langsamen Geschwindigkeit des Ausdrucks auf Papier bestimmt wurde, wendet sich die Fotografie nun an die unmittelbare und vermeintlich unbegrenzte Welt des Internets, die ihrerseits durch einen überbordenden Bild-Konsum gekennzeichnet ist. Bleibt die Institution des Museums vor diesem Hintergrund vielleicht die letzte Festung einer traditionellen Betrachtung der Fotografie? Und welche Konsequenzen hat der fortschreitende Verlust der Materialität der Fotografie, welche durch das Internet verursacht wird? Einige Experten, wie z.B. Roberta Valtorta, haben die Geburt eines virtuellen Orts für eine zeitgenössische Fotografie heraufbeschworen, die dann vielleicht nicht mehr im traditionellen Museum als einem realen Ort zu sehen sein werden: Welches Szenario steht uns also bevor? Müssen wir uns vielleicht auf eine komplett virtuelle Zukunft der Fotografie einstellen?

 Alessandra Nappo

…ist kuratorische Assistentin am Sprengel Museum

2 Kommentare zu Welche Zukunft hat die Fotografie?

  1. Interessante Perspektive über die Zukunft der Fotografie. Ich glaube nicht, ob die Industrie- und Werbefotografie ihre ursprüngliche Funktion verlieren werden. Fotografie hat sich verändert und wird sich noch weiter entwickeln, aber ich glaube, dass solche Bereiche die gleichen Voraussetzungen und Ziele haben werden. Danke für den tollen Beitrag!

  2. Ich bin erstaunt darüber, dass ein post-futuristisches Kunstambiente, wie das Sprengel-Museum, Fotokunst immernoch in einer Standard-Betrachtungsweise darstellt. Wo doch die virtual Reality sogar schon bald das traditionelle Museum überholt hat.

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