Nachdem ich vor drei Monaten eine optimistische Perspektive auf die positiven Veränderungen für die Fotografie in diesem Jahr verfaßt habe, sei im Folgenden eine etwas relativierende Einschätzung auf den Stellenwert des Mediums auf dem Kunstmarkt hinterhergeschoben.
Aktuell befinden wir uns an einem Zeitpunkt zwischen der Art Basel und vor den Rencontres de la photographie in Arles, die in der „Gemeinde“ stets als DAS Sommereignis gelten. Eine sehr knappe Bestandsaufnahme aus Basel wird ernüchternd ausfallen: die Fotografie spielte auf der Messe kaum eine Rolle und in den begleitenden Ausstellungen der oberrheinischen Metropole überhaupt keine. Während in Deutschland gerade zum x-ten Male Wolfgang Tillmans (in Dresden, im neidischen Blick auf Paris und – nicht zu vergessen – in seiner Heimatstadt Remscheid!) als der „letzte Mohikaner“ eines öffentlichkeitswirksamen Foto-„Booms“ in den Jahren kurz vor und kurz nach der Jahrtausendwende gefeiert wird, hat sich der Kunst-Markt für künstlerische Fotografie offensichtlich stark „verschlankt“. Und abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen wird das Medium auch in den öffentlichen Ausstellungsinstitutionen hauptsächlich mit dem Fokus auf historische Positionen gezeigt. Nur kein Risiko: der KI-Kitsch eines Refik Anadol ist mittlerweile längst populärer als jüngere künstlerische Fotografie!
Und jetzt Arles? Wird dies eine Wendung anzeigen? Auch wenn der wirklich geschätzte Stimmungsmacher (und Fotograf) Alex Hagmann in seinem jüngsten Newsletter voller Vorfreude auf die kommenden Wochen in der Provence blickte, kann man als interessierter Theoretiker auch sehr nüchtern bleiben. Zunächst einmal lohnt in dieser Hinsicht der Blick auf die majestätische LUMA Foundation, in Arles, die dank der Mäzenin Maja Hofmann den französischen Wallfahrtsort architektonisch und auch inhaltlich stark prägt: auch dort ist – im Unterschied zu früheren Jahren (Carrie Mae Weems, Diane Arbus etc.) – in diesem Sommer keine nennenswerte Foto-Ausstellung zu sehen. Und ob das Ausstellungsprogramm der Rencontres selbst mehr als nur Fotografierende selbst anlocken wird, darf man mit etwas pessimistisch angehauchter Stimmung sehr bezweifeln.
Bleibt also die Vorfreude auf das wahre Mekka Paris, das uns in den ersten November-Wochen mit seiner keineswegs auf künstlerische Fotografie beschränkten Spezialmesse wieder anziehen wird. Allerdings berücksichtige man, dass in diesem Jahr das Centre Pompidou geschlossen sein wird und auch die beiden finanziell so potenten „big player“ Fondation Vuitton sowie die Pinault Collection in La Bourse in diesem Jahr parallel keine Foto-Ausstellungen präsentieren werden. Also auch hier: Katerstimmung? – Zumindest, wenn man etwas übertreibt, wie in dieser Glosse…
Stefan Gronert
…ist Kurator für Fotografie am Sprengel Museum Hannover
BU: Thomas Ruff, L’Empereur, 1982
Guten Tag Herr Gronert,
hat mich sehr gefreut, dass Sie das Thema des Bedeutungsverlustes der Fotografie im Kontext der bildenden Kunst ansprechen. Denn es ist ein Tabuthema in der Fotoszene.
2008 hatte ich mit Thomas Seelig in fotokritik.de ein ausführliches Gespräch geführt, in dem schon die Problematik angesprochen wurde. Link: https://www.fotokritik.de/index.php?art=49&page=1
Vielleicht ergibt sich durch Ihren Input jetzt eine Diskussion. Wäre zu wünschen!
Beste Grüße Thomas Leuner